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Dissertationsprojekt
Europa in der öffentlichen
Kommunikation – Deutschland und Frankreich im Vergleich
Die
Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrags durch die französische
und niederländische Bevölkerung 2005 löste eine breite öffentliche
Debatte über die Perspektiven und Ziele der europäischen Integration
aus. Diese Entwicklung ist nicht neu, die politische Geschichte der europäischen
Einigung war stets aufs Engste mit ihrer publizistischen Geschichte – mit öffentlich
geführten Diskussionen über Europa – verbunden. Bereits
zu früheren Zeitpunkten folgte auf den Misserfolg von Vorschlägen,
die zu einer Vertiefung eines gemeinschaftlichen Europas führen
sollte, eine Phase intensiver öffentlicher Debatten über die
Zukunft und die Finalität eines wie auch immer ausgestalteten „europäischen
Projekts“.
Ausgangspunkt für das publizistikwissenschaftliche Dissertationsprojekt
ist die Frage nach den Formen und Funktionen dieser öffentlichen Debatten.
Dabei wird ein doppelt ausgerichteter Interpretationsansatz verfolgt, der
die Funktionen und Funktionalisierungen von Europadebatten kontextuell herausarbeitet
ohne dabei die Merkmale der Diskussion - die dominierenden Argumente und
Topoi - selbst aus dem Blick zu verlieren. Ziel ist die Sichtbarmachung der
semantischen Flexibilität und der multiplen Bedeutungsebenen von Europadebatten
sowie der vielseitigen Verwendungen des Europabegriffs in der öffentlichen
Kommunikation. Der Arbeit liegt das Konzept einer Geschichte der öffentlichen
Kommunikation zu Grunde. Sie stellt öffentliche Kommunikationsprozesse
in den Mittelpunkt der Untersuchung und setzt diese in Beziehung zur politischen,
gesellschaftlichen und kulturellen Dimension der jeweiligen historischen
Situation. Als Perspektive der Europaforschung besitzt dieser Ansatz eine
doppelt ausgerichtete Arbeitsperspektive, die den europäischen Integrationsprozess
gleichsam als Frage der öffentlichen Kommunikation und als politisches
Projekt problematisiert. Beide Dimensionen werden zueinander in Beziehung
gesetzt, um Spannungsverhältnisse herauszustellen und Berührungspunkte
zu markieren.
Die Fragestellung wird an
einem doppelten Vergleich konkretisiert, der eine deutsch-französisch
und eine historisch vergleichende Perspektive beinhaltet.
Die national vergleichende Perspektive des Dissertationsprojekts nimmt öffentlich
geführte Europadebatten in Deutschland und Frankreich in den Blick.
Beide Länder stehen in Hinblick auf den europäischen Integrationsprozess
in einem komplexen Verhältnis zueinander. Sie waren dabei stets von
unterschiedlichen Motivationen geleitet, die ihren Ursprung vor allem in
der unterschiedlichen Vorstellung von der Nation hatten, und in den von ihr
ausgehenden Sinnbezügen für die Stiftung einer kollektiven Identität
und eines staatsbürgerlichen Bewusstseins. Auch in der Konstituierung öffentlicher
Kommunikation stehen sich beide Länder konträr gegenüber,
Medien und Journalismus haben denkbar unterschiedliche Positionen in der
Konstituierung von öffentlicher Meinung und politischer Kultur.
Gleichzeitig waren Frankreich und Deutschland einander wichtige Partner im
europäischen Einigungsprozess, die gemeinsame Interessen teilten und
deren Initiativen oftmals als Motor für neue Integrationsschritte wirkten.
Die Interpretation der Leitmotive, Dynamiken und Funktionen, die die Debatten
in Deutschland und Frankreich kennzeichneten, erfolgt an Hand dreier Beispiele:
das Scheitern der „Vereinigten Staaten von Europa“ Anfang der
1930er Jahre, die gescheiterte „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ 1950-1954
und die Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrags von 2005 bis
heute – alle drei sind Situationen in denen eine verstärkte Europäisierung
abgelehnt wurde.
Untersuchungsgegenstand sind publizistische Texte; sie werden als Dokumente
des öffentlichen Nachdenkens und Diskutierens über Europa interpretiert.
Komplementär werden auch nicht publizistische Quellen wie beispielsweise
Regierungserklärungen oder Reden von (Europa-)Politikern betrachtet,
um eine Rekonstruktion der Kommunikationssituation zu ermöglichen. Aus
diesem Blickwinkel werden öffentlich geführte Europadebatten als
ein Moment betrachtet, das Denken und Handeln in Bezug auf Europa ermöglicht
und gestaltet. Gleichzeitig werden die publizistischen Auseinandersetzungen
mit Europa in ihrer Bedingtheit durch die jeweiligen europapolitischen Rahmenbedingungen
interpretiert.
Wenn das politische und das öffentlich thematisierte Europa nicht als
voneinander unabhängige Entitäten, sondern als interdependent gedacht
werden, können die Möglichkeiten und Grenzen eines wie auch immer
ausgestalteten europäischen Projekts herausgearbeitet werden, die zu
einem bestimmten Zeitpunkt zur Diskussion standen.
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