K ulturwissenschaftliches Institut für Europaforschung


    Melanie Fröhlich (Timisoara/Rumänien, Mai 2006)

    `Als wäre der Raum aus der Zeit geraten.´
    Formen einer literarischen Sprache der Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit

    Die Beschreibung postkolonialer literarischer Texte als Texte zwischen den Kulturen, verliert ihre Aussagekraft in dem Moment, wo die kulturelle Zwischenexistenz längst einen globalen Topos bedeutet. Für die zeitgenössische deutschsprachige Literatur ist zu beobachten, dass Vertreter der jüngsten Autorengeneration weder national in Deutschland (bzw. Österreich oder der Schweiz) verortet noch deutsche Muttersprachler sind. Mehrsprachige Identitäten sind `am Werk´ und schreiben sich in das europäische Erfahrungsarchiv ein.

    Die Übersetzung eines Zustands kultureller Zwischenexistenz in literarische Sprache lässt ein realistisches Erzählen sehr schnell an seine Grenzen stoßen. Die Überlagerung disparater Lebenswelten als Erfahrung ungleicher Gleichzeitigkeit kann im Modus des Nacheinanders und des Nebeneinanders nicht generiert werden, zieht komplexere Formen der Interferenz nach sich und konfrontiert mit dem Problem der Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit, also mit einem Problem der Repräsentation.

    Als Beispiel einer europäischen Literatur des Dazwischen verstehe ich das Romandebüt Térezia Moras (geb. 1971 in Sopron/ Ungarn) "Alle Tage" (2004). Für den Roman, in dessen Zentrum eine Exilerfahrung steht, ist die Repräsentationsproblematik von besonderer Bedeutung. Für den Protagonisten, den Übersetzer Abel Nema und zugleich Übersetzten, stellt sich seine Heimatlosigkeit als Sprachlosigkeit und Orientierungslosigkeit dar. Zum einen spricht er zehn Sprachen akzentfrei, ist aber in keiner Sprache merklich zu Hause, zum anderen ist der Held von der ersten Seite an verstummt (Problem der Unsagbarkeit). Mit seiner `Sprachgabe´ büßte er jedoch seinen Orientierungssinn ein - und beschreibt seine Weltwahrnehmung mit den Worten "[a]ls wäre der Raum aus der Zeit geraten" [AT, 379] - (Problem der Undarstellbarkeit).

    Dass der Roman "Alle Tage" als eine Antwort auf die Repräsentationsproblematik gelesen werden kann, möchte ich durch meinen Vortrag veranschaulichen. Dazu zeige ich Formen einer literarischen Sprache der Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit auf und diskutiere ihre Funktion: 1. die Inversion der Raumdarstellung, 2. die Konfrontation mit `Sinnsprüngen´, 3. das Rückgreifen auf antike Erzählmuster (Metamorphose und Odyssee) für die Zeit- und Raumkonzeption, 4. das Auseinandergehen von Text- und Handlungsablauf und 5. das Interferieren von Strukturfolien, die eine Art Moiré-Effekt auslösen.


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