Melanie Fröhlich (Lüneburg, Februar 2004)
Erzählen aus dem Bruch: neue Stimmen deutscher Gegenwartsliteratur
"Die ersten Eindrücke haben die Tendenz
sich als natürliches Weltbild festzusetzen."
(Karl Mannheim, 1928)
Während die Zeit noch 2000 fragte "Wo bleibt der Osten", diskutierte die Leipziger Buchmesse nur ein Jahr später "Kommt der Osten zur Sprache". Mit dem nationalen Bestseller "Zonenkinder" (September 2002) verhalf Jana Hensel gerade der jungen Generationen zur Sichtbarkeit, indem sie ihre Stimme für die ersten "Wessis aus dem Osten", d.h. die um 1975 noch in der DDR geboren, aber im wiedervereinigten Deutschland erwachsen wurden, erhob. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Brucherfahrung, nicht gleichzusetzen mit dem Aufarbeiten von Historie, unterscheidet sich deutlich von dem Verlachen der Vergangenheit, wie es insbesondere Thomas Brussig in "Helden wie wir" (1995) praktizierte. Dass Hensel nicht allein für dieses Phänomen steht, lässt sich an Debüts Generationsangehöriger ablesen.
Anhand einer Auswahl junger Autorinnen, nämlich Jana Hensel (1976), Antje Rávic Strubel (1974) und Julia Schoch (1974) soll aufgezeigt werden, wie die Brucherfahrung in die literarische Praxis übersetzt wird. Welche Aussagen lassen sich auf der Basis der literarischen Formierung über die Weltwahrnehmung dieser Generation machen? Dazu treten wir in das Spannungsfeld der Brucherfahrung ein, die sowohl als Verlust erlebt wird, als auch produktive Wendung erfahren kann, indem Kritikfähigkeit und Ideologieimmunität betont werden. Dabei ist zu vermuten, dass diese Generation, da sie altersbedingt nicht die Geschichte der DDR (Inhalt) aufzuarbeiten hat, die Brucherfahrung vor allem auf der Ebene der Form zum Ausdruck kommt.
In Bezugnahme auf Bachtin gehen wir davon aus, dass 1. Literatur im Dialog zwischen Text- und Lebenswelt entsteht und 2. dass Zeit und Raum konstitutiv für die Identitätsbildung einer literarischen Figur, als auch für den Menschen sind, was für die Beispiele zu untersuchen ist.
Mit Hilfe dieser Punkte, nämlich 1. dem Umgang mit der Brucherfahrung, 2. der Weltwahrnehmung und 3. der Identitätsbildung in Korrelation von Zeit und Raum, versuchen wir ein literarisches Feld abzustecken. Wir fragen nach Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten dieser Generation und überprüfen die Evidenz eines Generationszusammenhangs. Auf dieser Basis können Aussagen über den Annäherungsprozess zwischen Ost und West getroffen werden.
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