K ulturwissenschaftliches Institut für Europaforschung



    Marie Fabiunke (Oktober 2003)
    Gesellschaftliche Bewegungen und Öffentlichkeit: Die Frage des Frauenstimmrecht in der Publizistik des Wilhelminismus
    Abstract

    Oktober 2003


    "Soll man lachen oder weinen über die trostlose Zerfahrenheit, die grenzenlose Unwissenheit, die sich in betreff [sic] der Frauenbewegung in der Presse bemerkbar macht?"
    So urteilt die Frauenbewegung im wilhelminischen Kaiserreich über die öffentliche Wirkung ihrer emanzipatorischen Bestrebungen für die Einführung des Frauenstimmrechts.
    Ähnliches müsste die damalige Bevölkerung empfunden haben, denn je nach politischer und weltanschaulicher Orientierung des Mediums, waren in Quantität und Qualität unterschiedliche Formen der Thematisierung der Frage des Frauenstimmrechts und der Frauenbewegung zu finden, wobei die Frage in der Presse insgesamt marginal diskutiert wurde. Die Präsenz und die Gestaltung des Themas waren jeweils abhängig von den strategischen und gruppenspezifischen Interessen der Kommunikatoren; jede Zeitung oder Zeitschrift versuchte die Frauenfrage im Sinne der eigenen Vorstellungen zu prägen und an ihre Leser zu kommunizieren.

    So waren beispielsweise die sozialdemokratischen Tageszeitungen ein wichtiges Sprachrohr der SPD-Frauenorganisation - obwohl das Verhältnis zwischen Partei und Frauenorganisation zeitweise sehr gespannt war- denn eine ausführliche Thematisierung der Frauenstimmrechtsfrage und der "Agitation" im Sinne der SPD-Frauenstimmrechtsbewegung konnten strategisch gegen den politischen Gegner verwendet werden.
    Im Gegensatz dazu stand die konservative Presse: Für ihre Leser musste es so erscheinen, als hätten publizistische und öffentliche Aktionen für das Frauenwahlrecht nie stattgefunden, als gäbe es gar keine Stimmrechtsbewegung. Auch in liberalen Zeitungen gab es keine nennenswerte inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stimmrechtsfrage.
    Satirisch-politische Zeitschriften, wie beispielsweise der Simplicissimus, konnten ihrem eigenen gesellschaftskritischen Anspruch in der Frage des Frauenstimmrechts nicht gerecht werden. Er setzte sich mit dem Thema nicht inhaltlich auseinander, sondern beschränkte sich auf Karikaturen, die sich über die Unweiblichkeit und die offensive Vorgehensweise die Frauenrechtlerinnen lustig machten.

    Insgesamt dominierte -abgesehen von der sozialdemokratischen Presse- die Nicht-Thematisierung der Frage des Frauenstimmrechts. Die geringe publizistische Auseinandersetzung kann -unter anderem- zur Erklärung der Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung der Frauenbewegung und der ausbleibenden Realisierung ihrer politischen und rechtlichen Forderungen beitragen.

    Mit ihren Publikationen, Versammlungen und öffentlichen Veranstaltungen entwickelten die Frauenorganisationen eine differenzierte Öffentlichkeitsarbeit, um ihre Forderungen in der öffentlichen Kommunikation zu positionieren und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich lenken, um schließlich Druck auf die politischen Institutionen und Akteure ausüben zu können. Doch dazu kam es nicht.

    Nur wenige Zeitungen berichteten über die Aktionen der Stimmrechtlerinnen und auch wenn sie vereinzelt kurze Artikel nach sich zogen, so veranlassten sie die damaligen Journalisten nicht zu einer inhaltlichen Thematisierung der Stimmrechtsfrage. Ihren Lesern mochte die Frauenstimmrechtsfrage daher als Randphänomen erschienen sein.
    Doch nicht etwa Unwissen über die Frauenstimmrechtsbewegung, ihre Aktivitäten und Forderungen waren der Grund, sondern vielmehr die bewusste Nichtbeachtung derjenigen Ereignisse, die nicht den eigenen politischen Vorstellungen entsprachen. Dass die Existenz der Frauenstimmrechtsbewegung sehr wohl wahrgenommen wurde, verdeutlicht sich an einzelnen kurzen Artikel, die sich über deren Aktivitäten lustig machten oder sich über die Unruhestiftung durch die Frauen empörten.

    Aber der Spott über die Stimmrechtlerinnen war von ernsteren Ressentiments und Beweggründen geleitet -der Angst vor einem grundsätzlicheren Wandel der gesellschaftlichen und politischer Verhältnisse. Zahlreiche Beiträge und neu eingerichtete Rubriken zu Frauenfragen in Zeitungen und Zeitschriften zeigten, dass die damaligen Presse mehrheitlich die Aktualität des Themas sehr wohl erkannt hatte und im eigenen Sinne lenken wollte.

    Die Frage des Frauenstimmrechts war ein politisch instrumentalisiertes Thema, das Medien und Journalisten im Sinne ihrer politischen und strategischen Ziele kommunizierten, um die öffentliche Meinung entsprechend zu beeinflussen.

    Was hier am historischen Beispiel festgestellt wurde, trifft auch für unsere Gegenwart und Zukunft zu: Der öffentliche Raum ist ein Spannungsfeld konkurrierender Interessen und Machtverhältnisse, in denen auch und vor allem der Journalismus keine neutrale Rolle einnimmt.
    Politische, gesellschaftliche und publizistische Kräfte gestalten die Aufmerksamkeitsstrukturen der Öffentlichkeit und prägen Inhalt und Deutung von Kommunikationsthemen. Neue Themen und Probleme können sich so weit durchsetzen, wie sie vermögen, die Macht- und Deutungsmächte der Öffentlichkeit für sich einzunehmen - oder die existierenden Strukturen aufzubrechen und ein Gegengewicht zu bilden.
    Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung ergibt sich daraus folgende Konsequenz: Erst eine kritische Interpretation der Publizistik unter Einbeziehung ihrer Kontexte und den Kognitionen, Vorstellungen und Interessen der Beteiligten ermöglicht einen Einblick in die Funktionen und Funktionalisierungen öffentlicher Kommunikation - in historischen wie in gegenwärtigen Situationen.



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