Marie Fabiunke(Mai 2003)
Gespräch mit Klaus Hänsch, Präsidiumsmitglied des Konvents zur Zukunft der Europas, über die Zukunft der EU, erschienen im online-Magazin europaspiegel.
Seit März 2002 tagt der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union.
Bis Juni 2003 soll er Vorschläge zur möglichen künftigen Gestalt der
EU ausarbeiten. Die Vorschläge sollen den Staats- und
Regierungschefs als Grundlage dienen, wenn sie im Anschluss bei der
kommenden Regierungskonferenz das EU-Vertragswerk erneuern wollen.
Der europaspiegel sprach mit dem Präsidiumsmitglied Prof. Dr.
Klaus Hänsch über die Arbeit im Konvent und die Zukunft der EU.
Das Gespräch führte Marie Fabiunke.
europaspiegel: Guten Morgen Herr Hänsch
Hänsch: Guten Morgen.
europaspiegel: Die Arbeit des Konvents zur Zukunft
Europas befindet sich jetzt in der entscheidenden Phase.
Wird er sie, wie geplant, Ende Juni beenden können?
Hänsch: Der Konvent befindet sich in der Tat in einer wichtigen
Phase. Wir entwerfen eine europäische Verfassung. Noch vor einem
Jahr hätten das viele nicht für möglich gehalten.
Wir werden die Grundrechtecharta zum integralen, rechtlich
verbindlichen Teil der Verfassung machen. Wir vereinheitlichen die
jetzt vorliegenden drei Verträge und Zusatzverträge und Protokolle
und vereinfachen die Verfahren der Gesetzgebung.
Wir arbeiten an einer neuen einheitlichen Struktur der Europäischen
Union, in der die bisherigen drei Pfeiler aus Europäischer
Gemeinschaft, Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik und
Zusammenarbeit in Innen- und Justizpolitik aufgelöst werden.
Das alles hat der Konvent schon auf den Weg gebracht. Anfangs
haben das viele nicht für möglich gehalten.
europaspiegel: Der Zeitplan kann also eingehalten werden?
Hänsch: Ja, bis Ende Juni werden wir unsere Arbeit beendet haben.
europaspiegel: Und Sie haben keine Angst vor einem Scheitern des
Konvents?
Hänsch: Nein, das habe nicht.
europaspiegel: Gibt es denn auch Themen, bei denen noch
Diskussionsbedarf besteht?
Hänsch: Ja, sicherlich gibt es Fragen, zu denen wir noch eine
Lösung finden müssen. Da geht es vor allem um die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik, ein besonders schwieriges Kapitel.
Der Verfassungskonvent muss einen zukunftsweisenden Vorschlag
machen, der die EU außenpolitisch führungsfähig macht. Auch
institutionelle Fragen stehen noch zur Debatte. Aber ich denke,
auch hier wird der Konvent noch einen Konsens finden.
europaspiegel: Es gab ja einen deutsch-französischen Vorschlag
zur Doppelspitze: Danach soll die alle sechs Monate wechselnde
Ratspräsidentschaft abgeschafft und der neue Präsident von den
Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten für eine
Amtszeit von fünf oder zweieinhalb Jahren gewählt werden. Die
Zuständigkeit für die EU-Außenpolitik soll folgendermaßen aussehen:
Der künftige "Außenminister" der Union soll beim Rat angesiedelt
werden und zugleich der EU-Kommission angehören. Wie beurteilen
Sie diesen Vorschlag?
Hänsch: Wir brauchen eine einheitliche, sichtbare, handlungsstarke
Vertretung der gemeinsamen europäischen Interessen nach Außen.
Der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik, den
ich besser "Europäischen Außenminister" nennen würde, sollte der
Kommission angehören und gleichzeitig Vorsitzender des
Außenministerrates sein.
Das mag nicht die beste aller Lösungen sein, aber ich halte sie
für einen tragfähigen Kompromiss. Wichtig ist die Schaffung einer
neuen Einheit von Rat, Kommission und Mitgliedstaaten bei der
Analyse und strategischen Planung von Außenpolitik.
europaspiegel: Haben Sie denn keine Angst, dass ein solcher
Ratpräsident die EU dominieren könnte und der Vielfalt der
Gemeinschaft nicht gerecht würde?
Hänsch: Nein, im Gegenteil ich sehe darin einen notwendigen
Schritt die Union entscheidungs- und führungsfähig zu machen.
europaspiegel: Nach der Erweiterung um zehn neue Mitgliedsstaaten
im Jahre 2004, wir die EU eine veränderte Struktur haben. So wird
die Bevölkerungszahl stark anwachsen und das Verhältnis von großen
und kleinen Staaten wird sich verändern. Wie kann in einer
erweiterten EU ein Gleichgewicht zwischen großen und kleinen
Staaten geschaffen werden?
Hänsch: Ja, das ist richtig. Die EU wird sich verändern. Neun von
zehn der zukünftigen Mitgliedsstaaten sind kleine Länder. Die
Tendenz im europäischen Rat wird sich also zu Gunsten der kleinen
Staaten verschieben.
Zwei Prinzipien der europäischen Integration prallen hier
aufeinander: Die prinzipielle Gleichheit aller Mitgliedsstaaten
und die grundsätzliche Gleichheit aller Bürger der Union. Das
ist ein großes Problem, denn theoretisch sind beide Prinzipen nicht
miteinander vereinbar. In der Praxis aber muss das Gleichgewicht
zwischen großen und kleinen Staaten institutionell geregelt werden.
Dafür muss das Rotationsprinzip bei der Präsidentschaft der EU
geändert werden.
euroapaspiegel: Im April hat es einen Vierergipfel von Frankreich,
Belgien, Luxemburg und Deutschland zu europäischen
Verteidigungspolitik gegeben. Was halten sie von solchen
Initiativen einiger weniger Mitgliedsstaaten?
Hänsch: Die Initiativen einzelner oder weniger Staaten sind
wichtig. In der europäischen Geschichte haben sie immer wieder
wichtige Projekte auf den Weg gebracht, auch wenn sie zunächst
kritisiert wurden. Das wird auch dieses Mal so sein.
europaspiegel: Wie stellen Sie sich die EU in 30 Jahren vor?
Hänsch: Die EU wird ein Europa der Staaten und Völker sein.
Die bevorstehende Erweiterung wird sich konsolidiert haben, und die
neuen Mitgliedsländer werden integrativer Bestandteil der Union
sein.
europaspiegel: Glauben Sie, dass die heute heranwachsende
Generation eine europäische wird?
Hänsch: Ja, Sie sind ja das beste Beispiel dafür. (lacht)
europaspiegel: Die EU und auch der Konvent zur Zukunft Europas ist
eine Art exklusiver Club gediegener politischer Persönlichkeiten,
die schon Erfahrung und Renommé in der Politik gesammelt haben.
Möglicherweise fühlen sich junge Europäer von dieser Politik nicht
sehr angesprochen. Wie kann die Europapolitik auch für jungen
Menschen interessanter und greifbarer werden?
Hänsch: In der Europapolitik wird es, wie überall anders auch,
Generationswechsel geben. Das ist ganz normal. Als ich damals
anfing war auch ich jünger. Und auch heute gibt es junge
EU-Politiker, doch die hohen Positionen werden immer durch
erfahrenere Politiker besetzt werden. Und natürlich ist die neue
Generation von Europapolitikern dabei, diese Erfahrungen zu sammeln.
europaspiegel: Sehen Sie eine positive Zukunft der EU?
Hänsch: Ja, ich bin zuversichtlich. Aber eine gute europäische
Zukunft entwickelt sich nicht von allein. Es liegt an den Europäern
selbst, wie sie Ihre Zukunft gestalten. Die Europäer müssen ihre
gemeinsamen Interessen erkennen und sie glaubwürdig und einheitlich
nach außen vertreten. Wenn sie dazu nicht fähig sind, laufen sie
Gefahr, sich in Abhängigkeiten zu anderen Mächten zu begeben. Nur
wenn Europa eine Einheit findet, nur wenn die Europäer gemeinsam
handeln, können Sie eine europäische Zukunft selbst gestalten.
europaspiegel: Herr Hänsch, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Zur Person:
Klaus Hänsch, geboren 1938, ist seit 1979 Abgeordneter des
Europäischen Parlaments, Mitglied der SPE-Fraktion. Er war von
1994 bis 1997 Präsident des Parlaments und ist seit März 2002
Mitglied des Präsidiums des Konvents zur Zukunft Europas.
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